Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on: Dicke Chan­cen für Men­schen mit Assis­tenz­be­darf und Anbie­ter sozia­ler Dienstleistungen

Rot unterlegtes Porträtfoto von Helmut Kreidenweis

Foto: Kreidenweis

Ein Gast­bei­trag von Hel­mut Krei­den­weis, Pro­fes­sor für Sozi­al­in­for­ma­tik an der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät Eichstätt-Ingolstadt


Digitalisierung wird besonders in Deutschland häufig unter dem Aspekt der Gefahren und Risiken diskutiert. Datenmissbrauch, Arbeitsplatzverlust, oder Angst vor Entmenschlichung gehören dazu. Wir können viel über diese negativen Seiten reden – und ja, wir müssen es auch tun, wenn es konkret wird. Dazu müssen wir die Dinge aber erst konkret werden lassen und die Chancen, in den Blick nehmen, die es gilt aktiv zu gestalten und zu nutzen.

Hier fünf bewusst provokant formulierte Thesen:

These 1: Die Digitalisierung wirkt gegen den Fachkräftemangel

Digitale Technologien sind sicherlich kein Allheilmittel. Aber sie können dazu beitragen, den Fachkräftemangel abzufedern und das Image des sozialen Sektors aufzuwerten. Junge, leistungsbereite Menschen organisieren ihr Leben längst per Smartphone. Wollen wir ihnen im Ernst noch Zettel in die Hand drücken oder sie vor sperrige Monitore setzen, um ihre Arbeitszeiten und Leistungen zu dokumentieren? Hochwertige IT-Lösungen dafür sind längst vorhanden. Wir müssen sie nur kompetent implementieren und konsequent nutzen. Das ist das kleine Einmaleins der Digitalisierung.

These 2: Digitale Assistenztechnologien bieten Sicherheit und Autonomie

Fachkräfte, Menschen mit Assistenzbedarf und deren Angehörige profitieren gleichermaßen. Assistenzsysteme sind heute schon zuverlässig dazu in der Lage, Stürze oder andere kritische Situationen im Haushalt zu erkennen. Professionell und familiär Unterstützenden bietet das enorme Entlastung von der Unmöglichkeit der permanenten Präsenz.  Menschen können besser und länger ihre Autonomie aufrecht erhalten. Auch wenn hier mancher gleich an „big brother“ denkt: Der Technikeinsatz kann so gestaltet werden, dass die Persönlichkeitsrechte gewahrt werden. Wenn wir uns kompetent machen, können wir auch dafür sorgen.

These 3: Webbasierte Plattformen stärken die Kundensouveränität

So wie wir heute Reisen buchen oder Mobilfunktarife vergleichen, werden wir morgen auch Assistenzleistungen auswählen. Die Plattform-Ökonomie wird sich in der Pflege durchsetzen. Sternchen-Bewertungen durch Kunden oder Angehörige werden so normal werden wie bei Filmen oder Hotels. Das stärkt die Angebotstransparenz und Kundensouveränität und wird den Markt verändern. Diejenigen Anbieter werden gestärkt daraus hervorgehen, die nicht nur den abstrakten Bewertungskriterien offizieller Stellen genügen, sondern den Kunden durch Freundlichkeit, Empathie, schönes Ambiente oder leckeres Essen ein positives Erlebnis vermitteln.

These 4: Big-Data-Analysen verbessern Angebote

Kunden, die ambulante Pflege gekauft haben, haben sich auch für Hunde-Gassiführen und Einkaufsservice interessiert. Was uns Amazon & Co. schon seit Jahren vormachen, bietet auch Chancen für soziale Dienstleiter. Big Data wird oft mit Datenschutzproblemen in Verbindung gebracht. Dabei können moderne Analysemethoden dabei helfen, das eigene Dienstleistungsspektrum besser an den Kundenbedarf anzupassen oder andere Zusammenhänge in unseren Daten zu finden, auf die wir selbst nie gekommen wären. Das funktioniert häufig auch mit anonymisierten Daten.

These 5: Künstliche Intelligenz und Robotik eröffnen neue Dimensionen

Diese Entwicklung steht erst am Anfang. Doch die Potenziale sind gewaltig. Schon heute helfen uns KI-basierte Systeme täglich beim Navigieren, Suchen oder Übersetzen. In Verbindung mit der Robotik werden wir bald über Systeme verfügen, die Helfer massiv entlasten können. Erste Studien zeigen, dass es weniger die Pflegebedürftigen und Angehörigen, sondern die Fachkräfte sind, die Vorbehalte dagegen hegen. Natürlich müssen wir auch ethisch darüber reflektieren, denn jede neue Technologie zeigt Licht- und Schattenseiten. Doch nur, wenn wir nicht nur diskutieren, sondern sie aktiv mit gestalten, können wir dafür sorgen, dass sie menschengerecht eingesetzt werden.

Porträtfoto Helmut Kreidenweis

Foto: Kreidenweis

Zur Person: Helmut Kreidenweis

Helmut Kreidenweis ist Professor für Sozialinformatik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Gründer und Vorstand des Fachverbandes für IT in Sozialwirtschaft und Sozialverwaltung FINSOZ e. V., Inhaber der Beratungsfirma KI Consult, Mitbegründer und Mitglied der Programmkommission der ConSozial, bei der 2019 auch das Team der SeWo gGmbH zu Gast und das SeWo-Projekt vorgestellt hat.

Titelbild des Buchs

Bild: Nomos Verlagsgesellschaft

Das Fachbuch zum Thema von von Helmut Kreidenweis (Hrsg.): „Digitaler Wandel in der Sozialwirtschaft: Grundlagen – Strategien – Praxis“

Worum geht's?

 

Der digitale Wandel lässt sich nicht weghoffen. Das Buch informiert Entscheider über Grundlagen, stellt strategische Gestaltungsansätze vor und zeigt die Potenziale neuer Technologien. Auch Arbeitsgestaltung, Datensicherheit und Kompetenzentwicklung in einer digitalen Sozialwelt werden thematisiert.

 

Hier finden Sie eine ausführliche Beschreibung und Besprechung des Buchs.