Eine Herausforderung im SeWo-Programm ist, das richtige Maß an Technik zu finden. Technik soll nicht „um ihrer selbst willen“ verbaut werden, sondern ein selbstständiges Leben ermöglichen.
Im Gegensatz zu Show-Wohnungen, die alles demonstrieren, was technisch geht, wird im SeWo-Programm in den einzelnen Wohnhäusern individuell abgestimmt, welche Technik sinnvoll ist und insbesondere, wie technische und menschliche Unterstützung im Zusammenspiel den Bedarfen und Bedürfnissen entsprechen.
Technik ist nicht per se gut, und es ist sinnvoll, sich über die „Risiken und Nebenwirkungen“ von Technik Gedanken zu machen. Wir danken Raul Krauthausen, dass wir seinen Beitrag hier veröffentlichen dürfen:
Wenn Technik nicht hilft
Veröffentlicht am Veröffentlicht am 4. September 2019 von Raul Krauthausen
Quelle: https://raul.de/leben-mit-behinderung/wenn-technik-nicht-hilft/
Der Markt für individualisierte Technikhilfen wächst. Aber dieser Kram ist oft sinnlos – und versperrt den Blick auf das wahre Problem der mangelnden Zugänglichkeit
Ich gestehe, ich bin ein Technik-Freak. Mir gefallen Tüfteleien und Spielereien allgemein – und manches erleichtert Menschen mit Behinderung auch immer mehr den Alltag. Doch es gibt natürlich zwei Seiten einer Medaille, und die unschöne von beiden zeigt eine Menge Unsinn, der Menschen mit Behinderung nur Sinn vorgaukelt, in Wirklichkeit aber neue Hürden aufbaut. Oder, wie S.E. Smith in seinem Beitrag die Designstrategin Liz Jackson zitiert: „Eine elegante Lösung aus guter Absicht heraus, aber für ein Problem, von dem wir bisher nicht wussten, dass wir es haben.“
Smith zählt eine Menge aktuellen Humbugs auf. Da ist ein stufensteigender Rollstuhl, tragbare GPS-Einheiten für Blinde oder zeichnende Handschuhe zum Verstehen von Gebärdensprache. Klingt erstmal toll. Ist es aber nicht immer. Diese Rollstühle sind teuer, also nur für eine kleine Minderheit, und unsicher. Blinde benutzen eh schon ihre Smartphones bestens zur Orientierung, und diese Handschuhe übersetzen eher aus dem Elbischen denn die Gebärdensprache – warum also nicht gleich bei Interesse sie lernen?
Die stufensteigenden Rollstühle aber sind ein echtes Symbol für ungefragte Leckerlis, die ein Problem sogar verschärfen. Denn dies ist die fehlende Zugänglichkeit vieler Orte. Die Vertreter dieser Rollstühle, halt ohne Behinderung, delegieren aber dieses Problem an jene, die es auszubaden haben: nicht der Ort soll sich ändern, sondern ich mich. Ich komm da nicht rein? Selbst schuld, hol dir doch den stufensteigenden Rollstuhl. Dabei wäre die Lösung ganz einfach: Von Zugänglichkeit profitieren alle, wie zum Beispiel Reisende mit Rollkoffer. Eine Rampe gleich mit zu planen oder anzubauen ist stets die einfachste, kostengünstigste und gerechteste Lösung. Dieser Stufensteigkram dagegen ist absurd.
All diese Technikverliebtheit offenbart eine komische Sicht auf Behinderung. Warum, schreibt Smith, haben alle Angst vorm großen, bösen Rollstuhl? Behinderung ist keine persönliche Tragödie, die durch individualisierte Technik weggezaubert wird. Sie ist da. Man geht mit ihr um und schafft Lösungen, Sprichwort Rampe und Smartphone. Doch wie Technik-Gadgets hereingeschneit kommen, erzählen sie einfach nur, dass der technische Fortschritt sich ganz allgemein rascher vollzieht als der menschliche. Wir hinken mental hinterher. Und verpacken Behinderung in angeblich netten Schmuckstücken. Dies entlastet die Mehrheit der Nichtbehinderten nach Lösungen für alle zu suchen und vor allem das Recht auf Zugänglichkeit für alle einzulösen.
Woran liegt diese Trägheit, und diese Flucht zum Technikkram? Vielleicht hat es mit einem überkommenen Blick zu tun, den Andrew Pulrang herrlich mit einem „Warum ich heute optimistisch bei Kindern mit Behinderung bin“ betitelten Beitrag beiseiteschiebt. Er bilanziert, was sich alles geändert hat: Das, was man früher mit „besonderen Bedürfnisse“ verballhornte, ist heute ziemlich allgemein geworden; es gibt in Deutschland Millionen Menschen mit Behinderung, sie wegzuschließen ist nicht mehr die allerneuste Mode in der Politik. Es sei normal geworden, schreibt Pulrang, dass wir einen freien und gleichen Platz in der Gesellschaft erwarten.
Die Art einer Behinderung definiert eben nicht mehr das Potenzial eines unabhängigen und glücklichen Lebens. Pulrang zitiert eine Pionierin der Bewegung, Judy Heumann: „Unabhängig leben bedeutet nicht, die Dinge selbst zu tun, sondern zu kontrollieren, dass die Dinge getan werden.“ Mit den richtigen Instrumenten und der richtigen Unterstützung gibt es ein ordentliches Maß an Unabhängigkeit – es kommt auf die einzelne Einstellung und die der Gesellschaft an. Der Drang, Menschen mit Behinderung zu „beschützen“, bildet sich zurück. Vieles wird selbstverständlicher. Setzen wir uns also an die Umsetzung von Rechten und nicht ans Basteln von sinnlosen Technikgadgets.