Ein Pro­gramm für mehr Selbstständigkeit

Der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Matthias Löb

Foto: LWL

Der Land­schafts­ver­band West­fa­len-Lip­pe (LWL) stellt mit sei­nem SeWo-Pro­gramm zehn Mil­lio­nen Euro bereit – und för­dert damit ins­ge­samt 15 Wohn­pro­jek­te für Men­schen mit wesent­li­chen Behin­de­run­gen in der gan­zen Regi­on. Mat­thi­as Löb, Direk­tor des LWL, erklärt im Inter­view das Kon­zept des Programms.


Herr Löb, warum hat der LWL das SeWo-Programm gestartet?

Wir wollen Menschen mit wesentlichen Behinderungen, die besonders viel Unterstützung im Alltag brauchen, mit unserem Programm neue Chancen auf eine eigene Wohnung bieten. Früher blieb ihnen oft nur ein Heim als Wohnstätte. Heute aber können sie auch selbstständig in den eigenen vier Wänden leben, wenn wir ihnen die entsprechenden Hilfen zur Verfügung stellen.

Welche Unterstützung ist aus Ihrer Sicht nötig, damit das gut funktioniert?

Alle Projektskizzen, die bei unserem Ideenwettbewerb 2017 eingereicht wurden, mussten zwei Bereiche besonders berücksichtigen: Erstens die Unterstützung der künftigen Mieterinnen und Mieter durch Technik, zweitens deren Einbindung in das soziale Umfeld und das Quartier, in dem sie später leben werden. Beides zusammen ermöglicht Menschen mit Behinderungen ein sehr selbstständiges Wohnen. Vor allem bei der Technik wollen wir gemeinsam mit unseren Modellprojekten einen ‚westfälischen Weg‘ gehen: Wir wollen schlaue, aber nicht unbedingt teure Assistenz-Technik entwickeln und einsetzen. Daraus können ganz verschiedene Lösungsansätze entstehen: Eine Dusche ohne Schwelle kann genauso viel zur Barrierefreiheit in der eigenen Wohnung beitragen wie intelligente Assistenz-Technik (Ambient Assisted Living), die es den Mieterinnen und Mietern zum Beispiel ermöglicht, ohne Hilfe die Wohnungstür zu öffnen, zu telefonieren oder die Haustechnik zu bedienen. Das reicht sogar bis hin zur elektronischen Avatar-Assistentin, die an die nächste Verabredung mit Freunden im Café erinnert – und bei Regenwetter direkt auch daran, einen Schirm mit nach draußen zu nehmen.

Und warum ist das Quartier als zweite „Säule“ so wichtig?

Weil das Leben ja nicht nur in der eigenen Wohnung stattfindet. Technik ist hier zwar wichtig, damit die Mieterinnen und Mieter sich in ihren vier Wänden so selbstständig wie möglich bewegen und versorgen können. Aber wenn sie nach draußen gehen, zum Einkaufen, ins Kino oder auch nur zum Grillfest nebenan, braucht es eine gute Infrastruktur und gute Nachbarschaft. Die ist nicht immer von selbst da oder entwickelt sich einfach so ohne jedes Zutun. Deshalb fördern wir das mit so genannten Quartiersmanagern, die sich bei den Wohn-Projekten um dieses wichtige Thema kümmern. Menschen mit Behinderung können ja ganz tolle Nachbarn sein, genauso wie Menschen ohne Handicap auch – sei es zum Beispiel eine Rollstuhlfahrerin, die gern den Hund des Nachbarn ausfuühren würde und ihn damit im Alltag unterstützen könnte, aber natürlich erst mal den Kontakt braucht, damit so etwas überhaupt entstehen kann. Wie genau das funktionieren könnte, wie sich gutes Quartiersmanagement also erfolgreich umsetzen lässt, ist eine der Kernaufgaben aller SeWo-Projekte in den kommenden Jahren – und da hoffen wir natürlich auf sehr viele spannende Erkenntnisse.

Können Sie uns ein paar Beispiele nennen, die Ihnen aus dem Ideenwettbewerb in Erinnerung geblieben sind?

Alle eingereichten Bewerbungen haben ihre jeweils eigenen Ansätze, die oft kaum vergleichbar mit den anderen Ideen sind. Aber genau das wollten wir ja auch: Eine große Vielfalt. Drei Beispiele: In einer Hausgemeinschaft werden Apartments für Menschen mit sogenannter Autismus-Spektrum-Störung oder komplexen Behinderungen entwickelt, und dabei werden natürlich sowohl die Technik als auch das soziale Umfeld eine wichtige Rolle spielen. Ein anderes Apartmenthaus plant eine inklusive Begegnungsstätte für das gesamte Quartier. In einem weiteren Wohnhaus soll ein virtueller Assistent die Mieterinnen und Mieter dabei unterstützen, ihr Leben selbstständig zu gestalten und zu führen und so die soziale Teilhabe fördern. Alle Projekte haben auf jeden Fall gemeinsam, dass sie auf Technik und Quartiersmanagement gleichermaßen setzen – eine aus meiner Sicht sehr zukunftsweisende Mischung.

Sie werden in den kommenden Jahren mit dem SeWo-Programm sehr viel Wissen zu diesem Thema ansammeln. Was machen Sie damit?

Der Wohnungsmarkt ist fast überall hart umkämpft, und das ist gerade für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen ein echter Engpass. Das wird absehbar auch so bleiben, und deswegen wollen mit unserem Programm ein Signal setzen, dass sich da etwas tun muss. Die ausgewählten Projekte sollen auf jeden Fall Modellcharakter haben und andere Träger dazu anregen, sich für die Planung und den Bau von Wohnungen für Menschen mit Behinderungen zu engagieren. Deshalb werden wir alle Ergebnisse und Erkenntnisse sammeln, von unseren Partnern aus der Wissenschaft auswerten lassen und dann der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, damit unsere Erfahrungen auch in die Breite getragen werden können.

Der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Matthias Löb

Foto: LWL

Matthias Löb studierte Jura in Münster und kam im Jahr 1996 zum Landschaftsverband Westfalen-Lippe, wo er in der Personalabteilung, im Psychiatrieverbund und als Persönlicher Referent des damaligen LWL-Direktors arbeitete. Nach weiteren Stationen in der LWL-Kulturabteilung übernahm er im Jahr 2007 als Wahlbeamter die Leitung des neu gebildeten Dezernates Kommunale Versorgungskassen (KVW) und LWL-Bau- und Liegenschaftsbetrieb. Von November 2011 bis Juni 2014 war Matthias Löb Erster Landesrat und Kämmerer des LWL und damit auch Vertreter des LWL-Direktors, dessen Nachfolge er am 1. Juli 2014 antrat.