Vier Fra­gen an die LWL-Poli­tik – Fol­ge 5: Ste­fan Mül­ler, Die Linke

Porträtfoto Stefan Müller (Die Linke)

Foto: privat

Eine 20-köp­fi­ge Jury hat die 15 Wohn­pro­jek­te aus­ge­sucht, die vom SeWo-Pro­gramm für fünf Jah­re geför­dert wer­den. In die­ser Inter­view-Serie fra­gen wir bei Poli­ti­kern der fünf Frak­tio­nen aus der LWL-Land­schafts­ver­samm­lung nach, die in dem Gre­mi­um mit­ge­ar­bei­tet haben: Was erwar­ten sie vom SeWo-Pro­gramm und den Pro­jekt­trä­gern? Im fünf­ten und letz­ten Inter­view der Rei­he beant­wor­tet Ste­fan Mül­ler von der Frak­ti­on Die Lin­ke unse­re Fragen.

Was erwarten Sie vom SeWo-Programm für die Entwicklung des Selbstständigen Wohnens von Menschen mit wesentlichen Behinderungen?

Ich wünsche mir, dass das SeWo-Programm dazu beiträgt, dass Menschen selbstbestimmter leben können. Dabei ist mir jedoch wichtig, dass es nicht zu einer Vereinzelung und Vereinsamung von beeinträchtigten Menschen aus Kostengründen kommen darf. Technische Hilfsmittel können das unterstützen, können aber auch Barrieren aufbauen. Entscheidend ist jedoch die bedarfsgerechte Gewährleistung von persönlicher Assistenz, unabhängig von Kostengesichtspunkten. Da ist der LWL in der Pflicht und darf sich nicht mit Verweis auf technische Alternativen aus der Verantwortung stehlen. Die Menschen, die Unterstützung benötigen, müssen in die Lage versetzt werden, selbstbewusst entscheiden zu können, welche Unterstützung – durch Menschen und/oder durch Technik – ihnen an meisten hilft, ihr Leben selbstbestimmt zu leben. Der Zwang zur Kosteneinsparung behindert die Inklusion.

Welche Projektideen sind Ihnen aus der Jurysitzung besonders im Kopf geblieben?

Positiv sind mir einige Projektideen im Gedächtnis geblieben, bei denen von Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen oder aus der Dorfgemeinschaft heraus die Idee zur Beteiligung am SeWo-Programm forciert wurde. Ich denke hierbei an die Initiative aus Lippstadt-Dedinghausen, wo eine Dorfgemeinschaft beschlossen hat, dass zu ihrem Dorf noch eine Wohneinrichtung für behinderte Menschen fehlt und sie sich deshalb an dem SeWo-Programm beteiligen wollen. Dann fällt mir die Elterninitiative aus Dortmund-Hombruch ein, die für ihre erwachsen gewordenen Kinder eine Zukunftsperspektive schaffen will für die Zeit, wenn die Eltern altersbedingt nicht mehr die Möglichkeit haben, für die Kinder zu sorgen. In diesen beiden Beispielen – wie auch bei einigen anderen – läuft aus meiner Sicht der Planungsprozess richtig herum: „Wir haben hier eine Gruppe von Betroffenen, für die wir die beste Lösung suchen.“ Nicht wie das sonst so oft läuft: „Wir haben ein Budget. Jetzt suchen wir uns mal eine Zielgruppe.“

Nach welchen Kriterien haben Sie die Gewinner ausgesucht?

Im Mittelpunkt muss meiner Meinung nach der soziale Aspekt stehen. Die Frage von technischer Unterstützung ist zwar auch interessant, aber wichtiger ist mir, dass es eine gute soziale Einbindung in das Quartier gibt und dass Planungen für konkrete Menschen gemacht werden und nicht Menschen zu den vorhandenen Plänen gesucht werden. Eine gute Vernetzungsmöglichkeit mit den Nachbarinnen und Nachbarn, offene Treffpunkte oder Nachbarschaftscafés sind mir wichtig. Meine Stimme haben Projekte bekommen, die nicht allzu ehrgeizig Roboter einsetzen oder mit Computerprogrammen Menschen ersetzen wollen. Ich habe nichts gegen elektrische Fensteröffner oder eine Fernsteuerung für den Lichtschalter. Aber Technik kann immer mal kaputtgehen oder Fehlfunktionen haben. Im Zweifel vertraue ich da lieber auf menschliche Nähe und menschliche Arbeitskraft.

Was sind für Sie die wichtigsten Bedingungen, damit das selbstständige Wohnen für Menschen mit wesentlichen Behinderungen funktionieren kann?

Es fängt damit an, dass man nicht von „Menschen mit wesentlichen Behinderungen“ spricht, sondern dass man feststellen muss, dass es die real existierende Gesellschaft, das kapitalistische System, ist, das die Menschen behindert. Menschen sind nicht behindert, sie werden es. Daran müssen wir arbeiten. Projekte, die versuchen, die in den Köpfen der Menschen vorhandenen Barrieren abzubauen und ein gleichberechtigtes Miteinander zu schaffen, die können zu einem selbstbestimmten Wohnen beitragen. Dazu gehören aber auch andere politische Rahmenbedingungen. Zum Glück gehören die geschlossenen „Behinderten-Verwahranstalten“ auf der grünen Wiese mittlerweile weitgehend der Vergangenheit an. Der vermeintliche Sparzwang – der von neoliberalen Interessengruppen erzeugt wird, die einen sogenannten „schlanken Staat“ anstreben – behindert die Menschen und behindert damit auch eine aktive und lebendige Inklusion aller Menschen, die in diesem Land leben wollen.